„Herzlich willkommen“ auf Deutsch und Ukrainisch steht auf der Tafel in einem Klassenraum der Grundschule Rhade. Rektorin Andrea Wardin (rechts) ist froh, mit Nadiya Eilers eine Pädagogin in ihren Reihen zu haben, die der ukrainischen und russischen Sprache mächtig ist.

Glücklicher Zufall: Aus der Ukraine geflüchtete Kinder haben in Rhade eine Klassenlehrerin aus ihrem Heimatland

Sie erleben eine bewegte Zeit: Drei Kinder, die mit ihren Familien vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, finden sich hier jetzt wieder in den Schulalltag ein. In der kleinen Grundschule Rhade, die 65 Mädchen und Jungen in ihren vier Klassen Lernstoff vermittelt, bekommen sie sogar Unterricht in ihrer Landessprache. Das ist einem glücklichen Zufall zu verdanken.

Mit Pädagogin Nadiya Eilers hat die Grundschule eine Pädagogin, die aus Lwiw (Lemberg) im Westen der Ukraine stammt. Sie ist Klassenlehrerin und nahm die drei Schüler in den 4. Jahrgang mit auf. So finden Camila (9 Jahre), Nikita (10) und Yegor (11) fern der Heimat sprachlich ein kleines Stückchen Zuhause.

Nadiya Eilers hat in der Ukraine Deutsch und Englisch auf Lehramt studiert, kam mit 21 Jahren als Au-pair-Mädchen nach Deutschland, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Hier entschied sie sich, weiter auf Grundschullehramt zu studieren und ein Referendariat zu absolvieren. In Deutschland lernte sie ihren späteren Ehemann kennen, mit dem sie heute zwei Kinder hat. Sie arbeitete zunächst an der Janusz-Korczak-Förderschule in Zeven und fungiert seit viereinhalb Jahren als Pädagogin an der Grundschule in Rhade. „Das ist eine ganz tolle Schule“, findet die 41-Jährige, eben weil die Bildungsstätte so klein ist.

Große Sprachkenntnisse

Die Pädagogin verfügt über umfangreiche Sprachkenntnisse: Da sich Lwiw nahe der Grenze zu Polen befindet, hat sie neben Ukrainisch und Russisch zudem übers Fernsehen quasi nebenbei Polnisch gelernt. Vom Krieg in ihrer Heimat bekommt sie viel mit. „Im Vergleich zum Osten ist es wirklich ruhig dort“, aber trotzdem explodierten dort hin und wieder Bomben, gebe es Zerstörungen, „zum Glück bisher nur auf militärischen Stützpunkten“. Per Videotelefonie hält sie Kontakt zu ihren Eltern, die noch in der Ukraine wohnen, und verfolgt jeden Tag die Nachrichten, macht sich natürlich Sorgen. Das spricht sie nicht aus, doch es ist ihr anzusehen: Tränen in ihren Augen sagen bei diesem Thema mehr als 1000 Worte. Umso wichtiger ist es ihr, die Geflüchteten zu unterstützen.

Die drei in der Grundschule aufgenommenen Ukrainer stammen aus der Nähe von Charkiw in der umkämpften Ost-Ukraine. Zwar ist ein Junge bereits etwas zu alt für die Grundschule, doch um sie nicht zu trennen, besuchen die drei bis zu den Sommerferien gemeinsam in Rhade die 4. Klasse. Das macht vieles einfacher.

Nadiya Eilers ist ihnen eine große Hilfe. Schon bei der Aufnahme der Kinder und dem Ausfüllen von Formularen hat sie den Müttern des Trios sprachlich helfen und viele Fragen klären können. Rektorin Andrea Wardin: „Das war wirklich gut.“ Ein Netzwerk von Unterstützern helfe den Flüchtlingen zudem außerhalb der Schule.

Die ukrainischen Kinder kamen kurz vor Ostern in die Grundschule – zum „Warmlaufen“ und für ein erstes Kennenlernen. Inzwischen versuchten manche Schüler aus den verschiedenen Nationen, auf Englisch miteinander zu kommunizieren. Im Unterricht gehe es jetzt aber zunächst darum, „einen gewissen Fundus aufzubauen“, erläutert Rektorin Andrea Wardin, also Grundlagen der deutschen Sprache zu vermitteln. Von Haus aus sprechen die drei ukrainischen Kinder hauptsächlich Russisch. Auf Ukrainisch verstehen sie alles, sagt ihre Lehrerin, aber das Sprechen falle ihnen auf Russisch leichter.

Die meiste Zeit sind die drei in der 4. Klasse im normalen Unterricht dabei. Aber wenn die anderen Deutsch haben, nimmt die Lehrerin die Drei beiseite und übt mit ihnen separat Deutsch. Außerdem gebe es eine Bundesfreiwilligendienstleistende, die Russisch versteht und ebenfalls hilfreich zur Seite steht. Denn die Kleinen benötigen noch ordentlich Unterstützung. Auch die Mutter einer Viertklässlerin habe angeboten, einmal die Woche mit den Kindern Deutsch zu üben.

Viele Nationalitäten

„So klein, wie wir sind, haben wir ziemlich viele Nationalitäten unter den Kindern“, sagt Andrea Wardin. Sie kommen aus Armenien, dem Libanon, Polen, Rumänien, Russland, Syrien und eben der Ukraine. „Es ist toll zu sehen, wie die Kinder untereinander zurechtkommen: Irgendwann finden sie ihr Netzwerk und wissen, wen sie fragen können“, so die Rektorin.

Allerdings: Da die ukrainischen Schüler wissen, dass ihre Klassenlehrerin Russisch spricht, sprechen sie sie auch auf Russisch an, sagt Nadiya Eilers und schmunzelt. Für diese Kinder sei es noch eine Herausforderung, ihre Lehrerin auf Deutsch anzusprechen. Dabei verstünden sie schon deutsche Wörter für Zahlen, Farben, Schulgegenstände und mehr. Die 41-Jährige hat Verständnis für den Nachwuchs aus Osteuropa: „Die Situation ist wirklich viel für die Kinder. Sie hören immer eine Sprache, die sie noch gar nicht richtig verstehen. Das macht sie manchmal auch müde.“

Was ihr die Unterstützung für die jungen Landsleute bedeutet? „Ich freue mich wirklich, dass sie zu mir in die Klasse gekommen und an unserer Schule sind. Ich mache das sehr gerne und würde mir wünschen, dass ich viel mehr Zeit für sie hätte.“

Andrea Wardin weiß um die schwierige Lage für die Kinder, deren Väter und volljährige Brüder in der Ukraine bleiben mussten, wegen des Krieges nicht ausreisen dürfen. „Das ist superbelastend.“

Viele Fragen seien für die Geflüchteten offen: Wie zerstört ist ihre Heimat Charkiw? Können sie überhaupt irgendwann dorthin zurückkehren? Die Rektorin nimmt daher an, dass die Kinder froh sind, „hier ein bisschen Normalität zu haben“. Auch wenn für sie vieles ungeklärt ist: „Wie lange bleiben wir noch hier? Müssen wir das jetzt lernen?“ Andrea Wardin: „Das ist der Unterschied zu den anderen Kindern: Die sind gekommen, um zu bleiben.“ Viele Ukrainer hingegen wollten zwecks Familienzusammenführung eines Tages zurückkehren.

„Den einen oder anderen bremst das ein wenig“, so der Eindruck der Schulleiterin.

Beim Übersetzen im Unterricht aber gibt es auch amüsante Momente: „Manchmal merke ich gar nicht mehr, welche Sprache ich gerade spreche“, bekennt Nadiya Eilers lachend. So komme es vor, dass sie deutsche Kinder versehentlich auf Russisch anspricht: „Dann werde ich mit großen Augen angeguckt.“

In Mathematik hatte sie anfangs versucht, Aufgaben an der Tafel zu erklären und dort sofort für die Ukrainer zu übersetzen. Das habe nicht so gut geklappt. „Ich erkläre das jetzt erstmal auf Deutsch für die Kinder, und wenn sie an einer Aufgabe arbeiten, dann erkläre ich es noch einmal für die anderen drei.“

Übersetzungs-App hilft

In den Pausen gibt es kaum Berührungsängste, spielen Kinder aus verschiedenen Nationen gemeinsam, und auf den Schultablets sind Übersetzungs-Apps, sodass manche Kinder versuchen, mit dieser Hilfe zu kommunizieren. Nadiya Eilers weiß, dass die Sprache eine Barriere ist. Aber die ukrainischen Kinder seien „grundsätzlich gut aufgenommen worden“, so ihr Eindruck. „Je jünger sie sind, desto offener sind sie“, ergänzt Andrea Wardin.

Die Rektorin bilanziert: „Ich bin froh, dass Nadiya gefühlt die ganzen osteuropäischen Sprachen spricht.“ Es sei für Geflüchtete einfach gut zu wissen, dass es vor Ort jemanden gibt, der ihre Sprache spricht. „Da spürt man eine Verbundenheit. Für eine so kleine Schule ist es schon super, wenn man sagen kann, man bedient viele Sprachen.“